Stellungnahme der Flüchtlingsinitiative Weilerswist e.V.
zu den Auseinandersetzungen um das geplante Flüchtlingsheim:
Die Auseinandersetzung um den Bau eines Flüchtlingsheims an der Martin-Luther-Straße in Weilerswist ist derzeit sehr lebhaft; die Flüchtlingsinitiative Weilerswist e.V. (FIW) wird von verschiedenen Seiten zur Stellung- und Parteinahme aufgefordert. Als FIW enthalten wir uns Kommentaren zu Finanzierung und Genehmigungsfähigkeit des geplanten Flüchtlingsheimes.
Fest steht für uns: Infrastrukturmaßnahmen für Flüchtlinge müssen Teil einer politischen Gesamtkonzeption sein. Zu dieser tragen wir auf der Grundlage unserer Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Flüchtlingen in Weilerswist Erfahrungswerte bei, die den Entscheidungsträger/innen hilfreich sein sollten.
Wir formulieren nachfolgend einige Empfehlungen an die Weilerswister politischen Akteure, legen dann dar, auf welchen Überlegungen diese beruhen und machen transparent, auf welche Informationslage wir uns berufen.
Empfehlungen an die Weilerswister politischen Akteure:
Einige gute Gründe sprechen dafür, trotz aktuell niedriger Zuwanderungszahlen Aufnahmekapazitäten für Flüchtlinge in unserer Gemeinde zu schaffen. Die Art der Unterbringung und Wohnung kann Integration von Flüchtlingen wirksam unterstützen; garantieren kann sie sie nicht. Eine unangemessene Wohnsituation hingegen wird die Integration Einzelner nicht zwangsläufig verhindern, sie trägt aber wesentlich dazu bei, Energien nutzlos zu binden, die Geflüchtete für den psychisch höchst aufwändigen Prozess der Integration benötigen.
Wir empfehlen daher den politisch verantwortlichen Akteuren in Weilerswist:
- Schaffung von Unterbringungs- und Wohnkapazitäten, für die gilt: Je länger oder dauerhafter Geflüchtete dort tatsächlich leben, umso kleinteiliger strukturiert sollten sie sein und umso dezentraler innerhalb von Nachbarschaften, die nicht überwiegend durch Geflüchtete geprägt sind, sollten sie sich befinden.
- Wo Geflüchtete zentral untergebracht sind, müssen Räumlichkeiten für Unterricht / Schulungen und soziale Aktivitäten vorhanden sein.
- Die beste Infrastruktur nützt ohne Menschen, die Flüchtlinge in ihren Integrationsbemühungen unterstützen und begleiten, recht wenig. Die weitgehende Delegation dieser Aufgabe an die Zivilgesellschaft / das Ehrenamt ist nicht ausreichend, da dort die ohnehin eingeschränkte Leistungsfähigkeit nachlässt. Es sind qualifizierte hauptamtliche Kräfte in die (aufsuchende) Flüchtlingssozialarbeit einzubinden.
- Deutliche, gemeinsame Zeichen der Weilerswister politischen Akteure (Ratsfraktionen und Verwaltung), die die Integration von Geflüchteten als einen notwendigen und leistbaren gesellschaftlichen Prozess benennen und die enormen Integrationsleistungen vieler Geflüchteten würdigen, sind notwendig.Z.B. kann eine gemeinsame Erklärung aller Ratsfraktionen oder die aktive und ernsthafte Mitarbeit von Ratsmitgliedern oder anderer prominenter Bürger/innen in der Integrationsförderung dazu beitragen, Desinteresse, Skepsis oder Verunglimpfungen von Flüchtlingen und ihrer Integration in der Bevölkerung entgegen zu wirken. Eine steigende Bereitschaft zur Wohnungsvermietung an Flüchtlinge und die Bereitstellung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen in Weilerswist soll so gefördert werden.
- Konkrete Probleme im Zusammenleben oder Fehlverhalten von Flüchtlingen oder von Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft nicht bagatellisieren sondern direkt und mit Augenmaß konfrontieren.
- Diffuse, auf Vorurteilen beruhende „Ängste“ oder „Sorgen“ nicht durch Zitieren salonfähig machen und verstärken.
- Nachvollziehbar und in einem echten Dialog mit den Bürgern kommunizieren, ob bzw. inwiefern die geplante Unterkunft Teil einer Integrationspolitik ist, die den hier formulierten Anforderungen entspricht. Ggf. entsprechende Nachbesserungen im weiteren Planungs- und Realisierungsverlauf vornehmen.
Unsere Erfahrungen und Überlegungen:
Ziel: Friedliche Koexistenz und Integration
Friedliche Koexistenz zwischen Geflüchteten und Wohnbevölkerung als Minimalzustand zu unterstützen und möglichst zur Integration von Geflüchteten beizutragen setzen wir als gemeinsame Zielsetzung aller verantwortungsvollen Akteure voraus. Unserer Einschätzung nach kann die Unterbringungs- und Wohnsituation von Geflüchteten diese Ziele befördern oder auch behindern.
Wir weisen daher nachdrücklich darauf hin, dass die Frage der Integration keinesfalls auf infrastrukturelle Aspekte verengt werden darf.
Erfolgsfaktoren für Integration
Damit Integration gelingen kann, müssen Flüchtlinge selbst über eine Reihe von Eigenschaften verfügen und Fähigkeiten mobilisieren, wie z.B.:Psychische Stabilität und Resilienz, formale Bildung und Intelligenz, ein belastbares Wertesystem, Anpassungsfähigkeit an in Deutschland bestimmende, vom Erfahrungshintergrund abweichende Standards, der Wille und die Fähigkeit für sich eine Perspektive in Deutschland zu erkennen und daran zu arbeiten.
Die Fähigkeiten, die in den Flüchtlingen selbst vorhanden sein müssen (und nur indirekt gefördert werden können), sollten, um Integration zu erleichtern, u.E. von außen unterstützt werden, z.B. durch:
- Befriedigung der elementaren menschlichen Grundbedürfnisse (Nahrung, Kleidung, Wohnung, Gesundheitsfürsorge)
- Möglichkeit, mit Mensch in derselben Situation Austausch zu pflegen,
- Konkret erfahrbare Annahme durch die Mehrheitsgesellschaft und das Angebot von Kontakt-, Begegnungs- und Anschlussmöglichkeiten,• Möglichkeit, Gesetze, Vorschriften, Gepflogenheiten und Grundlagen administrativer Entscheidungen zu kennen und zu verstehen
- (Mit-) Gestaltungsmöglichkeit und überschaubare zeitliche Perspektive von Verfahren
bezüglich Aufenthalt, Familiennachzug, Erwerbsarbeit, Selbständigkeit, Wohnung
- Möglichkeit zu (entlohnter oder sonst wie sinnvoller) Beschäftigung auch vor dem abgeschlossenen Sprachkompetenzerwerb
- Bewegungsfreiheit,
- Privatsphäre,
- Zugang zu unterstützenden Bildungsangeboten, Deutsch- und Integrationskurse.
Wer an der Integration von Flüchtlingen interessiert ist, sollte diese Faktoren fördern – ihre Verhinderung erschwert Integration und friedliches Zusammenleben.
Sammelunterkünfte
Wir gewinnen den Eindruck, dass Menschen, die als Einzelpersonen nach Deutschland kommen, durchaus davon profitieren können, vorübergehend zusammen mit anderen in derselben Situation untergebracht zu werden. Gegenseitige Unterstützung bei der Erstorientierung kann so erfolgen. Eine realistische Perspektive auf Veränderung kann den Mangel an Privatsphäre für einige Wochen oder Monate kompensieren. Das Fehlen der Perspektive und die Aussicht auf Dauerhaftigkeit der Sammelunterbringung tragen jedoch dazu bei, die Integrationsfähigkeit der Untergebrachten zu verringern.
Kleinteilige Unterbringung
Je kleinteiliger und für den Einzelnen überschaubarer Unterbringungssituationen sind, desto eher gelingt es, stabilisierende soziale Strukturen aufzubauen, in denen z.B. Absprachen getroffen, Konflikte geregelt, gemeinsam genutzte Sanitäranlagen sauber und funktionierend gehalten werden.
Ghettobildung verhindern
Ghettobildung ist ein Prozess der innerhalb der Minderheitengesellschaft (den Geflüchteten) und innerhalb der Mehrheitsgesellschaft gleichermaßen erfolgt und nur durch das Zusammenwirken beider erklärt werden kann: Gegenseitige Abgrenzung, Betonung von Unterschieden, Überhöhung der eigenen Gruppe und Entwertung der anderen. Mittelfristig, d.h. nach einer Zeit, die höchstens in Monaten und keinesfalls in Jahren zu messen ist, ist, um der Ghettobildung entgegen zu wirken, dafür Sorge zu tragen, dass geflüchtete Menschen Wohnmöglichkeiten erhalten in Settings, die den Aufbau von und die Integration in Nachbarschaften ermöglichen, die nicht überwiegend durch (kürzlich) Geflüchtete geprägt sind.
Funktion von Nachbarschaften
Nachbarschaften übernehmen – freiwillig oder gedrängt – wesentliche Integrationsfunktionen, von der Orientierung zu Schulen oder Arbeitsmöglichkeiten über Mülltrennung bis zum Kennenlernen von üblichen Umgangsformen. Vieles gelingt hier „von selbst“, ohne großes Aufhebens. Aber Nachbarschaften oder Vermieter und mit ihnenkonfrontierte Geflüchtete sind oft auch überfordert und benötigen nicht selten Unterstützung, Übersetzung, Moderation im Falle von Missverständnissen oder Konflikten.
Informationslage:
Am 26.10.16 erhielt die Flüchtlingsinitiative Weilerswist e.V. (FIW) im Rahmen der regelmäßigen Gespräche mit der Verwaltungsspitze (H. Erster Beigeordneter Strotkötter) folgende Auskunft:
Beantragt wurde der Bau eines Flüchtlingsheims. Nach Baubeginn solle ein Umnutzungsantrag für die gemischte Nutzung (Füchtlingsheim + Schulräume) gestellt werden. Die jetzigen Planungen, Mischung aus Flüchtlingsunterkunft (1. + 2. OG) und Schulräume (EG), seien mit der Gesamtschule abgestimmt. Ein Kredit über 4.2 Mio € sei vom Kreis genehmigt.
Es seien keine Fördermittel beantragt worden, da noch nicht absehbar sei, wie eine Nachnutzung des Gebäudes aussehen werde. Der Innenausbau solle so erfolgen, dass in den OG 1+2 Unterbringungseinheiten geschaffen werden für jeweils vier bis sechs Geflüchtete mit je eigener Küchenzeile und eigenem Bad / Nasszelle. Die Detailplanungen für den Innenausbau seien noch nicht abgeschlossen und die FIW würde dabei einbezogen.
Es seien somit sowohl die zuwendungsrechtlichen wie die technischen Voraussetzungen erfüllt, in dem Gebäude später Wohnungen mit Sozialbindung einzurichten, wenn die Nutzung als Flüchtlingsheim nicht mehr nötig sein sollte. Hierzu müsse das Gebäude (bzw. Teile davon) an einen Investor veräußert werden, da die Gemeinde selbst nicht als Investor im sozialen Wohnungsbau agieren dürfe.
Ohne dass dies in dem o.a. Gespräch weiter thematisiert worden war, gehen wir davon aus, dass ein „Flüchtlingsheim“ dazu dient, Menschen vorübergehend für einige Monate unterzubringen, die als Asylbegehrende der Gemeinde zugewiesen werden und zu deren Unterbringung die Gemeinde verpflichtet ist, um Obdachlosigkeit zu verhindern.
Die auf wenige Monate konzipierte Übergangszeit bis zur Anerkennung als Flüchtling, bis zu einer mittelfristigen Duldung oder zur Aufforderung zur Ausreise (und dem tatsächlichen Vollzug) hat sich in der jüngeren Vergangenheit in vielen Fällen auf bislang ein Jahr, in Einzelfällen noch erheblich mehr, verlängert. Auch Flüchtlinge, die nach ihrer Anerkennung in eigene Wohnungen umziehen sollten, leben heute gegen Mietzahlung aus SGB-II-Mitteln in den gemeindeeigenen Unterbringungen. Der Wohnungsmarkt ist in Weilerswist sehr angespannt, die schlechte Presse von Flüchtlingen und die nicht marktgerechten SGB-II¬Mietsätze tun ihr Übriges dafür, dass die Bemühungen der Ortsverwaltung und der FIW, geeignete Mietobjekte zu akquirieren, nur schleppend Erfolge verzeichnen.
Sowohl die Frage, ob aus der langsamen Bearbeitung von Asylanträgen in der Vergangenheit auf künftige Bearbeitungsgeschwindigkeit geschlossen werden kann als auch die Frage, ob die Mauern der „Festung Europa“ weiterhin dafür sorgen werden, dass die offenbar vielen auf eine Einreise nach Europa Wartenden auch weiter abgehalten werden, sind Unbekannte, die die politisch Verantwortlichen in ihr Handeln einrechnen müssen.
Flüchtlingsinitiative Weilerswist e.V., 10.11.2016,
Sprecher/innen: Andrea Brüning, Michael Detscher,